Auf zu neuen Welten
Das hat die Menschheit ja super hinbekommen. Erst mal ordentlich aufdrehen den Zapfhahn an Frau Mutter Erde, und sich nach reichlich laben wundern, warum die Grundgute nichts mehr rausrückt und dazu auch noch die Flora die Hocke macht. Na toll. Statt aber auf Neuaufbau und Erdenpflaster zu setzen, nimmt ein sattes Grüppchen von KI (künstlichen Intelligenzen) den weiten Flugweg Richtung Spes auf, um den dortigen Planeten zur Neukolonisierung zu nutzen. Die Black Angel ist unser Transportschiff und nimmt den weiten Weg durch das All auf sich. Wir schauen heute auf das Würfeleinsetzspiel Black Angel von Sébastien Dujardin, Xavier Georges und Alain Orban, welches hierzulande via Asmodee vertrieben wird.
Die Fülle an Entscheidungen – zuerst ein Gefühlsausbruch
Wow, bevor ich irgendwas zu Black Angel schreibe, auf so manch Mechanismus eingehe oder Besonderheiten anspreche, möchte ich gerne etwas zu meinen Erfahrungen mit dem Spiel schreiben, da mir dieses ziemlich unter den Nägeln brennt. Ich habe mich selten so hilflos und unentschlossen bei einem Spiel gefühlt, wie bei Black Angel. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Partie, bei der ich, als ich das Spiel startete, beinah Tränen in den Augen hatte (ich übertreibe mal), weil ich nicht wusste, was ich machen sollte. Black Angel stellt eigentlich nur 2 Aktionsmöglichkeiten zur Verfügung; entweder Sequenz A oder B. Und obwohl ein Spielzug an sich auch recht einfach vonstatten geht, machte mir das Ausmaß an Konsequenz und Berechnung irres Kopfzerbrechen und sorgte für Beunruhigung. Und obwohl dieses Gefühl ein eher unschönes und „unterlippenbeissendes“ war, war und bin ich fasziniert, dass ein Spiel in der Lage ist, dass ich mich so fühlte und fühle. Das macht Black Angel für mich zu einem besonderen und auch emotionalen Spiel.
Mittlerweile nach ein paar Partien hat sich meine Aufgeregtheit schon etwas verflüchtigt, und ich fühle mich schon längst nicht mehr so hilflos, wie zu Anfangszeiten, aber kann ich diese Unsicherheit und Besorgnis in so manch Augen Neuer sehen, die ihre erste Partie Black Angel starten. Es ist vergleichbar wie ein Start ins Weltall, und auch wenn ich dies nicht aus Erfahrung berichten kann, so antizipiere ich dies einfach: Am Anfang wird man wie wild auf eine Reise geschossen, die Fliehkräfte wirken gewaltig auf den Körper, und der eigene Leib fühlt sich in den Sitz gepresst. Druck lastet auf dem Körper, man fühlt sich starr ob der Schwere und jede Bewegung ist wie ein schweres Entgegendrücken. Man sitzt einfach starr im Sitz, fühlt sich handlungsunfähig und will nur noch, dass es vorbei ist. Eine Reise ins Ungewisse beginnt.
Die Ungewissheit bleibt auch später noch, später, wenn man den Druck des geballten Starts nicht mehr spürt, wenn die Schwerelosigkeit einem umgibt, und man hinaus aus den Fenstern in die Tiefe und Weite des Alls schaut, und man anfängt, erste Schritte zu unternehmen, um Entwicklungen, Forschungen, Kontakte, Bauten, und so weiter angeht. Und irgendwann, nach und nach und Schritt für Schritt wird einem klarer, wohin die Reise geht, welche Potenziale man entdecken kann, welche Pläne wohin führen, und dass die komplette Tragweite des eigenen Planens fast unmöglich ist von Anfang an mit einzuplanen.
Ja, das habe ich verspürt bei Black Angel. Es ist wie ein Flug ins Ungewisse, eine Portion Glück und Zufall, die aber aufgrund der enormen Aktionsmöglichkeiten und Planungen dennoch im Strategischen liegt. Und erst mit Partie und weiterer Partie wird klar, wie tief die Weiten des Alls und die darin enthaltenden Möglichkeiten sind. Die große schwarze Black Angel ist keine Alltagsfliege, die umherrast im weiten All, sondern ein fetter Kahn, der eine Menge Stellschrauben und Knöpfe hat, die bedient werden wollen.
Handeln im Handeln
An sich haben wir ein paar Würfel. Und die zeigen gerade mal ne Null, ne Eins, Zwei oder im besten Fall ne Drei. Das kann man schon mal festhalten: Je höher die Augenzahl, desto besser. Aber auch mit geringen Zahlen kann man was machen. Eigentlich kann man immer was machen, denn in Black Angel haben wir eine Platte an Möglichkeiten.
Schaut man neutral und schlicht auf das Mögliche, zeigt sich der große Spielplan recht übersichtlich. Wir haben 6 Handlungsorte, auf denen Würfel eingesetzt werden können. Da wir drei Farben haben, und jeder Farbe zwei Handlungsorte in sich trägt, und jeweils eine von denen an sich untereinander gleich ist, ist ziemlich schnell verstanden, was man wo mit seinem Würfel bewirkt.
Komplexer wird es, wenn man versucht die Tragweite seines Handelns zu berechnen: „Wenn ich das jetzt hier tue, und dann dieses dadurch machen will, brauche ich dieses und jenes, was ich aber vorher erst beschaffen muss, um das zu bekommen, muss ich aber dieses zuerst machen, aber dafür muss ich mindestens diese Zahl hier haben, die ich aber nicht habe, und darum sollte ich diesen fremden Würfel nehmen, wofür ich diese Ressource brauche, aber dann muss ich jetzt dieses …“ Die Gedankenspirale ist in Gang gesetzt und im Kopf machen die Knöpfchen und Lämpchen Beep und Mööp.
Weiter wird die planerische Weitsicht mit dem eigenen Spielertableau aktiviert: Karten sollten eingesetzt werden, die Entwicklungen aktivieren, die man in Vorrunden strategisch in sein Raster geschoben hat. Um aber auch Aktivierungen durchzuführen, bedarf es der passenden Kartenfarbe, die über Würfel beschafft werden können, die Roboter in den passenden Arbeitsbereichen benötigen … Und schon wieder machen die Drätchen und Kabelchen Beep und Mööp.
In Black Angel strengen wir uns an. Nicht körperlich, denn bis auf ein schlichtes Würfelwerfen und Kärtchen irgendwo hinschieben, kommt der Körpereinsatz nicht sonderlich stark in Wallung. Höchstens, wenn der Tisch etwas größer ist, und man aufstehen muss, um seine kleinen Raumschiffe im All zu bewegen. Ansonsten geschieht viel im Kopf: Planen, weit sehen, kombinieren, Ketten erdenken, … all das geschieht im Hirn und kann in manch Runde zu hoher Downtime führen. Spielt man sogar in voller 4er Besetzung, kann man sich in manch Runde, wenn man fertig ist, erst mal n Kaffee machen gehen. Extremgrübler können das Spiel ganz schön ausbremsen. In einer 2er Partie geht es schon schneller, dennoch wird man eine Partie Black Angel nicht mal eben so runterspielen. Was auch okay ist, der weite Flug durchlas All ist ja nicht mal eben in zwanzig Minuten getan. Die längste 4er-Partie dauerte gute 3 Stunden. Erfahrene Spielende schippern schon schneller auf dem Weg nach Spes, aber ein Schnelldurchlauf ist Black Angel nicht.
Der große Vorteil in größeren oder vollen Besetzungen ist das Konkurrenzverhalten auf der Black Angel und im Weltall. Auch wenn wir uns nicht physisch hauen, nehmen wir uns zumindest die Würfel weg, wir zecken uns ein, wir handeln, entwickeln und verbünden uns mit Außerirdischen, und auch wenn die Black Angel langsam aber stetig und unaufhaltsam auf den Zielplaneten hinzuschippert und durch unsere Aktionen getragen wird, so wird emsig gewerkelt, geschoben, repariert und einander die Auslagen verknappt. In Black Angel gibt es einem perfiden Konkurrenzdruck, einen sichtbaren, und einen, den man nicht so recht aufhalten kann. Wenn einem jemand den Würfel wegnimmt, Pech gehabt, selbst schuld, wenn man ihn nicht sichert. Wenn man zu lange auf ein Technologieplättchen gafft und es sich nicht nimmt, na dann, Chance verpasst, und wenn man nicht selber die Reparatur an der Black Angel angeht und Schrott verwertet, nun dann, ist man halt verantwortlich für sein Handeln und muss die Konsequenzen tragen.
Black Angel ist ein Ellenbogenspiel, bei dem man die Ellenbogen nicht schmerzlich spürt, aber an ihnen aneckt und deutlich wahrnimmt. Bis auf die Handkarten liegt auch alles offen aus, alles ist sichtbar, aber aufgrund der immensen Vielfalt ist es teilweise schwierig alles im Auge zu haben. Das sollte man zumindest versuchen, denn wer nur seine eigenen Geschäfte im Blick hat, wird nicht an SP weit vorne liegen. Es ist ratsam zu sehen und zu verstehen, was andere Vorhaben und planen, welche Vorteile sie erhalten, was für Nutzen welch Würfel oder Auftragskarten haben und ob man aktiv gegenhandeln muss, oder das Konkurrenzverhalten duldet. Wenn man also sich darauf einlässt die nicht ohnehin schon angestrengte eigene Cortexaktivierung durch das Mithalten der Planungen der anderen ebenso im Blick zu haben, wird in Black Angel ein Aufwand an strategischem Spielen erleben, welches ein echt tolles Gefühl ermöglicht.
Jedoch habe ich auch erlebt, dass Black Angel nicht für jedermensch ist. Manchen dauert eine Partie einfach zu lang, andere waren überfordert und es fehlte ihnen an kurzzeitiger Planbarkeit aufs Ende hin, wieder andere erlebten eine Anstrengung der eigenen Frusttoleranz.
Und wieder andere konnten aufblühen, mochten die Länge und Vielseitigkeit, die bunte Ausstattung und das Erleben des eigenen Scheiterns, um dann sagen zu können: „Beim nächsten Mal mache ich alles anders.“
Ich für meinen Teil habe in Black Angel einen leckeren Narren gefressen. Ein tolles Spiel. Wofür ich mir Zeit nehmen möchte. Ich will noch mehr ausprobieren und schauen, welche Strategien zielführende sind. Ich freue mich auf weitere Partien und finde es toll so viel zu erleben auf meinem Weg nach Spes.