Setz dich, nimm dir ’nen Tee.
Uff, den Beginn von diesem Artikel auf die Kette zu kriegen ist irgendwie gerade holprig. Ich habe hier Cup of Therapy neben mir stehen, eine weiße Schachtel, auf der auf der Front ein paar Tiere im Wald sitzen, das Lagerfeuer brennt und irgendwer scheint von einem Streit zu berichten. Unten auf der Schachtel prangt neben dem Logo auch der Untertitel „Zeit für Emotionen“. Wie auch schon beim Farbenmonster geht es in diesem „Spiel“ um Gefühle.
Auf der Rückseite der Schachtel wird uns erklärt, welche Rolle Emotionen in unserem Leben spielen, wie dieses „Spiel“ anregen will, über ebendiese zu sprechen und versprüht einen Hauch davon, was ich mir als Therapie-Charakter vorstelle. Ich selbst habe noch keine psychologische Therapie in Anspruch genommen und kann es daher natürlich nicht beurteilen. Der Satz „Mit liebenswerten Tierfiguren serviert Cup of Therapy eine Tasse voll Einfühlungsvermögen, Verständnis und Ermutigung und zeigt, dass es normal und wichtig ist, zu fühlen. Jeder Einzelne ist richtig, genau so, wie er ist.“ klingt für mich weniger nach Spiel als nach pädagogischem Leitsatz.
Zum ersten Mal
Als Cup of Therapy das erste Mal auf den Tisch kam, waren wir zu fünft. Wir hatten uns durch die Pandemie lange nicht gesehen und waren sehr glücklich, endlich mal wieder gemeinsam spielen zu können. Während ich das Essen in der Küche fertig gemacht hatte, wurde im Wohnzimmer die Anleitung (denn in diesem Fall ist es ganz sicher keine Spiel“regel“) gelesen. Als ich zurückkam und mich setzte, wurde mir mit eher 2 als einem zwinkernden Auge erklärt, was wir tun würden:
Wir würfeln und hopsen von Gefühlsinsel zu Gefühlsinsel. Wenn wir auf einer ankommen, wählen wir eine Handkarte und sprechen über eine Situation, die zum Bild auf der Karte passt, und die auch zu der jeweiligen Emotion passt. Dafür bekommt man einen Chip in der Farbe. Sollte jemand anders auch noch was dazu beizutragen haben, kann er oder sie das tun und bekommt dann auch einen Chip. Man kann auch passen, wenn einem nichts einfällt.
Sobald eine Person alle Farben gesammelt hat, endet das „Spiel“ und alle gewinnen, weil alle, da sie sich eingebracht haben, Gewinner sind. Alternativ kann man sich auch selbst ein anderes Spielende ausdenken.
Mh.
Mmmmmh.
Es gibt einen Gewinner, aber alle gewinnen dieses Spiel, das irgendwie nicht kooperativ und nicht kompetitiv ist. Und ich gehe sogar noch weiter: Das in meinen Augen irgendwie auch kein Spiel ist. Es geht spielerisch mit etwas um, ja. Aber.
Es ging also los, nachdem wir uns darauf geeinigt hatten, dass wir das Spiel ernst nehmen. Die Anleitung an sich ernst zu nehmen fiel uns in unserer Wiedersehenseuphorie, um ehrlich zu sein, ganz schön schwer. Aber: Wir spielten und hüpften von Insel zu Insel … und brachen das Spiel nach einigen Runden ab. Die Themen, die durch die Karten und die Inseln angesprochen wurden, waren so tief, die Geschichten so berührend und emotional, dass wir das Spiel nach kurzer Zeit beendeten, weil es nicht in unseren Freudentaumel passte. Wir sprachen über Sorgen und Ängste, über Schmerz und Verletzungen. Auch über gute Sachen, aber 5 der 8 Gefühlsinseln sind doch eher negativ angehaucht.
Abbruch
Wir haben offen über unsere Gefühle gesprochen – und das ging so schnell und wurde so deep, wie ich es wirklich nicht erwartet habe. Das alles für ein Pappplättchen! (Das ist natürlich eigentlich nicht die Intention, aber …) Fühlt es sich nicht komisch an, über etwas Emotionales zu sprechen und sich selbst eine Belohnung dafür zu nehmen? Ja, tut es. Daher ist es schöner, wenn man von den anderen eine Anerkennung in Form des Plättchens der Insel, auf der man steht, bekommt.
Wir haben also in dieser Runde bewusst abgebrochen, weil es einfach nicht zu dem passte, was wir an dem Tag erleben wollten. Aber: In der Runde hätte ich es grundsätzlich weitergespielt. Cup of Therapy spielt man nicht mit irgendwem. Das muss schon eine Gruppe sein, in der man sich vertraut und auch weiß, dass man sich öffnen kann. Da muss man sich sicher fühlen. Die Bilder auf den Karten sollen ja eine Inspiration sein, um eine Geschichte aus dem eigenen Leben zu erzählen. Da waren aber meiner Meinung nach auch Bilder drin, die ich für grenzwertig halte, wenn wir hier von einem Spiel sprechen, das man bei einem Spieleabend auf den Tisch packt. Ich denke schon, dass es Menschen gibt, die bei einigen Bildern sehr starke Emotionen fühlen – ob das dann in einer Spieleabendrunde so das richtige ist, bezweifle ich stark.
Ja, wenn man das Produkt kennt, dann wird man es vielleicht nicht unbedingt bei einem Spieletag einsetzen – aber sowohl die Schachtel als auch die Tatsache, dass es als Spiel veröffentlicht wurden, suggerieren nun einmal, dass man hier mit seinen Freunden ein bisschen verspielt quatschen kann. Aber es ist eben viel, viel mehr als das, finde ich.
Nicht nur bei mir war es so, dass eine Runde Cup of Therapy abgebrochen wurde, auch bei Funfairist wurde mal die Reißleine gezogen, weil es zu emotional wurde.
Die anderen Male
Da ich nun wusste, was mich erwartet, wenn Cup of Therapy irgendwo auf den Tisch kommt, konnte ich es auch den Umständen entsprechend einsetzen. Aber eine Frage kann ich bis heute noch nicht beantworten:
WANN spielt man das am besten? Als Absacker, damit alle traurig ins Bett gehen? Als Aufwärmspiel zur Stärkung der Gruppendynamik, nach dem dann alle emotional total durchgewuselt sind? Beim Kaffeetrinken mit meiner Freundin? Ich weiß es wirklich nicht. Cup of Therapy ist eben in meinen Augen kein Spiel.
Auf einem Spieleabend hat das für mich nichts zu suchen, denn die Stimmung, die von diesem „Spiel“ ausgeht, passt nicht zum ausgelassenen Spielen. Wenn ich Seminare gebe, kann ich es benutzen, um Geschichten zu erfinden, aber nicht, um persönliche Geschichten zu erzählen. Bei Cup of Therapy lässt man schon wirklich die Buchsen runter und das funktioniert nur in einer Gruppe, deren Freundschaft bzw. Vertrauensverhältnis intensiv genug ist. Wenn ich mich mit jemandem zum Kaffee trinken treffe, dann selten, um explizit und nur über Gefühle zu reden. Ich hab so oder so immer genug zu erzählen und durch meinen Alltag finden in den Erzählungen davon auch genug Emotionen ihren Platz. Will ich wirklich über den schmerzlichen Verlust meines Kumpels sprechen, der mir bis heute weh tut, wenn ich gerade eigentlich akut gerade gar nicht daran denken möchte, weil es mir nicht auf der Seele brennt? Möchte ich an einem Sommertag, mit einer kalten Cola und nettem Besuch über meine Sorgen und Ängste in Bezug auf die Zukunft sprechen – angeleitet von Karten?
Ich bin total durchgerüttelt, was dieses „Spiel“ angeht. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, waren allesamt intensiv und positiv (obwohl ich das schwierig finde zu sagen, denn von manchem Leid zu erfahren, ist natürlich genau das Gegenteil. Ich hoffe aber, ihr wisst, was ich damit ausdrücken möchte). Es gab Situationen, in denen einfach mal jemand in den Arm genommen werden musste. Es gab Momente, in denen die Tränen fast kullerten. Es gab Geschichten, über die wir aber auch schmunzeln konnten. Richtig witzig wurde es bei uns nie – denn über diesem Spiel liegt irgendwie emotional dann doch eher ein grauer Schleier. Wenn gerade jemand von einem Verlust berichtet hat, der für die Person ganz schlimm war, und ich dann einen witzigen Schwank aus meiner Jugend raushaue, dann fühlt sich das einfach nicht richtig an. Dann kann ich auch eine andere Geschichte nehmen, oder entschärfe das Lustige (das ist bei mir automatisch passiert), weil man gedanklich vielleicht auch einfach noch in einer anderen Geschichte steckte. Vielleicht in einer der eigenen, vielleicht in der einer anderen Person. Oder: Was, wenn ich eine Karte und eine Insel habe, die mich dazu inspirieren, zu erzählen, wie glücklich ich in meiner Beziehung bin, wie schön alles ist und wie sicher ich mich fühle – und dann ist da jemand in der Runde, der gerade eine üble Trennung hinter sich hat und darunter leidet. Pack ich dann wirklich meine rosarote Lovestory aus oder stecke ich lieber zurück, um niemandem auf den Schlips zu treten?
Alle, die mit mir gespielt haben, waren ebenfalls überrascht, wie das „Spiel“ es so ruckzuck schafft, das zu tun, was es tut. Aber ist es das richtige Medium dafür? Wann und wo und mit wem ist der richtige Ort, um es einzusetzen? Können solche Gespräche Wunden aufreißen und ist dann eine Runde mit Freunden der richtige Ort dafür?
Mental Health
Wenn ich richtig informiert bin, dann nutzen die Autoren von Cup of Therapy das, was sie hier im Spiel verpackt haben, in Skandinavien auch als Therapie-Methode. Die haben auch einen eigenen Merch-Shop mit den Bildern (die wirklich zauberhaft sind, trotz ihres Minimalismus) und scheinen im Norden bekannt zu sein. Mit knapp 15K Abos auf instagram erreichen sie mit ihren Bildern auch einen Haufen Leute auf der ganzen Welt. Zitat aus der Pressemitteilung von Huch:
„Cup Of Therapy“ ist ein neues Konzept, das im Mai 2017 entstanden ist. Die Psychotherapie-Profis Antti Ervasti und Elina Rehmonen haben diese Welt zusammen mit dem preisgekrönten und international anerkannten Illustrator und Grafikdesigner Matti Pikkujämsä entworfen. In den „Cup Of Therapy“-Produkten werden die großen und kleinen Problempunkte des Lebens auf eine sanfte Art und Weise dargestellt. Die Illustrationen vermitteln Ermutigung, Trost und Humor. Mit Hilfe der Produkte möchten sie schwierige und sensible Themen und Situationen zur Sprache bringen. Jede „Cup Of Therapy“-Zeichnung ist sorgfältig durchdacht. Sie bieten den Menschen eine spannende Möglichkeit, sich mit diesen universellen, teilweise sogar herausfordernden Themen auseinanderzusetzen.“
Ein Dank geht an dieser Stelle auch an Huch!, die uns das Spiel für den Artikel zur Verfügung gestellt haben.
Abschließend bleibt zu sagen
Dieses Produkt lässt mich echt zerzsauselt zurück … und ich kann und will gar keine Bewertung im Sinne einer Zahl darüber abgeben. Ich kenne nicht wirklich etwas, womit ich es vergleichen könnte. Dann kommt dazu, dass ich es selbst nicht unbedingt als „Spiel“ wahrnehme (es ist übrigens auch nicht bei boardgamegeek gelistet). Die intensiven Erfahrungen, die ich hiermit mit meinen Freunden gemacht habe, waren wirklich erstaunlich und ein schönes Zeichen unseres Vertrauens zueinander. Aber … ich kann das nicht greifen – das hab ich gerade ja schon erwähnt. Daher schließe ich hiermit als Fazit ab:
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