Die Bombe tickt
In London herrscht Bombenstimmung, denn Moriarty hat in London so manch Bombe versteckt. Zwei Gruppen kämpfen gegen einander: Sherlock und Moriarty. Welche Fraktion wird gewinnen? Im deduktiven Spiel Time Bomb Evolution von Yusuke Sato (iello, Hutter Trade) haben wir eine kleine Schachtel mit viel SchnickSchnack und einem spannenden Miss-Vertrauen zu tun. Traut niemandem und vertraut allen, bevor die erste Bombe hochgeht – oder auch nicht.
Tempel der Bomben
Der Name Yusuke Sato ist kein unbekannter Name, zumindest nicht für die, die das fantastische Kartenspiel Tempel des Schreckens kennen. Time Bomb Evolution ist die Weiterentwicklung des Spielprinzips und bringt noch etwas mehr Hirnzwirbler ins Spielgeschehen. Für die, die das Spielprinzip überhaupt nicht kennen, lest später mehr über dieses. Jetzt aber erst zur Weiterentwicklung – zur Evolution.
Wir öffnen keine Türen mehr, wir verbrennen nicht, wir finden keine Schätze. Wir haben Bomben zu entschärfen, Drähte zu durchschneiden und dabei zu zählen. Yusuke Sato hat sein Spielprinzip noch etwas mehr auf die Spitze getrieben und weiterentwickelt. Wir sind keine Abenteurer und keine Tempelwächterinnen mehr, sondern weiterhin zwei Fraktionen (Sherlock und Moriarty), die unterschiedliche Bomben entschärfen wollen. Ziel ist es (zumindest für die Fraktion Sherlock), dass keine Bombe hochgeht. Wenn eine 4. Karte der selben Bombe aufgedeckt wurde, ist das Spiel für die Sherlocks vorbei und Fraktion Moriarty kann jubeln und die Zylinder hochwerfen.
Durch die unterschiedlichen Bomben haben wir noch mehr zu beachten. Und noch mehr Misstrauen ist am Spieltisch zu spüren. Wer hat wirklich welche Farbenart? Dass wir Bomben auf der Hand haben, das ist klar, aber wer hat welche Farbe, wem ist wie zu trauen, und wer hat denn nun wirklich den Entschärfungsdraht, der gesucht wird.
Die Weiterentwicklung von Tempel des Schreckens macht aus dem sehr simplen und zugänglichen Spiel schon fast eine Herausforderung. Wer noch die enthaltene Variante „Evolution“ mit ins Spiel nimmt, muss noch strategischer an die Bombenentschärfung gehen. Ein echtes Misstrauensspiel.
Spielgefühl
Time Bomb Evolution fühlt sich auf den ersten Schritt fast genauso wie Tempel des Schreckens an. Aber schon nach einer Partie merkt man, ne, ganz so gleich ist das Spiel dann doch nicht. Hier haben wir wirklich eine weitere Ebene im Spiel. Während wir bei Tempel des Schreckens nur „ja oder nein und die Niete“ hatten, haben wir hier zu ja = Entschärfungsdraht, nein = Bombe auch ein weiteres nein, nämlich die Farbe. Das ist böse. Eine wirkliche Niete haben wir nicht (wie ein leerer Raum), sondern immer ein weiteres Übel und etwas Schlimmes. Team Moriarty ist in diesem Spiel wirklich finster und übelst gemein aufgestellt.
Meine Spielerfahrungen zeigten, dass Team Sherlock (ich nennen sie jetzt einfach mal die Guten) hier besonders viel zu tun hatten ihre Unschuld zu beweisen und einander zu zeigen, dass sie wirklich im Team zusammen spielen. Tatsächlich müssen bei Time Bomb Evolution auch die Guten lügen, denn wenn sie preisgeben, welche Farbe sie haben, machen sie es dem Team Moriarty noch einfacher, dass eine Bombe hochgeht. Verdammt!
Hier haben wir keine Nieten, alles ist schlimm und nur der Entschärfungsdraht kann dem Team Sherlock helfen London zu retten. Stattdessen jongliert man immer mit der Anspannung: Jetzt bloß nicht die (un)passende Farbe aufdecken.
Wenn man die Variante Evolution noch mit hineinnimmt, bekommen die Bombenfarben noch zusätzliche Funktionen, die das Spiel noch herausfordernder und komplexer machen. Teilweise hatte ich das Gefühl mitten im Chaos zu stecken, denn so manches Mal mussten wir uns entscheiden zwischen Pest und Cholera. Wobei – kommt immer drauf an, in welchem Team man war.
Material und weiteres Spielgefühl
Wow, die Zeichnungen und die Gestaltung der Karten sind echt super. Fast schon zu bunt und zu aufgemotzt, aber nicht schlecht. Sogar unnötiger Tinnef ist im Spiel zu erkennen, denn die Drahtschere ist fast zuviel des Guten. Die Karte reicht eigentlich aus, um jeweils einen Draht durchzuschneiden. Dennoch: Eine wunderbare Ausstattung, die man von iello nicht anders erwartet hat. Biboun tobt sich hier ganz und gar aus.
Auch wunderschön gemacht ist, dass wir es hier mit einer weiblichen Moriarty und einer weiblichen Sherlock zu tun haben. Sehr nett.
Und das Spielgefühl? Ich finde Time Bomb Evolution echt klasse, und es macht mir sehr viel Spaß. Aber fast schon ist mir das Spiel zu viel des Guten. Ich mag die Einfachheit und die simple Spielweise von Tempel des Schreckens. Time Bomb Evolution ist mir fast zuviel. Wenn die Variante auch noch hinzugenommen wird, oh weh, da raucht fast der Kopf.
Und dennoch muss ich sagen, dass ich diese Art von Spiel sehr mag und ich „voll abgehe“, wenn es um Rollen, Deduktion, Lüge und Wahrheit, Vertrauen und Misstrauen geht. Ein ganz großes Fest und ein sehr intensives Spielgefühl.
Time Bomb Evolution nimmt im Laufe des Spiels immer mehr ab Fahrt auf und tatsächlich hatte ich des öfteren das Gefühl, Menschen, denen ich anfangs nicht getraut habe, später zu trauen, um ihnen wieder nicht zu trauen. Ein perfider Kreisel und ein Hinundher. Wunderbar.
Spielweise
Schnell möchte ich noch einmal erklären, wie das Spielprinzip von Tempel des Schreckens und Time Bomb Evolution ist, die sich sehr ähneln.
Wir bekommen eine Rollenkarte und spielen entweder – oder. Die einen wollen die Entschärfungsdrähte finden, die anderen, dass eine Bombe hochgeht. Wir bekommen Karten (Bomben und Entschärfungen), schauen uns diese an, mischen sie, legen sie verdeckt aus. Wir teilen einander mit, was wir haben. Dabei können wir die Wahrheit sagen, oder auch lügen. Jemand hat die Schere, schneidet irgendwo ein Draht durch (deckt also die Karte auf), und dann sehen alle, was gefunden wurde. Dann geht es so weiter von dem Spieler aus, der dann die Schere hat. Nach ein paar Runden (kommt auf die Spielendenanzahl an), werden die Karten alle zusammengemischt, neu verteilt, und dann eine weitere Runde gespielt. 4 Runden geht das so, und entweder haben Sherlock oder Moriarty die Partie gewonnen.
Das Spiel lebt davon, dass man kommuniziert, lügt, die Wahrheit sagt und darauf pocht, einem zu vertrauen. Und je intensiver man versucht mitzuteilen, dass wir alle am selben Strang ziehen, desto eher steigt das Misstrauen, was die eigene Rage in die Höhe schnellen lässt. Ein intensives Spielgefühl.