Holding on – Das bewegte Leben des Billy Kerr

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Lasche Fritte

Herr Kerr, können Sie mich hören?

Eine der Neuheiten der letztjährigen Spielemesse war Holding on – das bewegte Leben des Billy Kerr. Wenn mich einer nach meinen „besonderen Vorfreuden“ gefragt hat, dann war Holding on mit in der Auflistung, da ich mich besonders auf die Thematik und den Mechanismus dieses Spiels gefreut habe.

Während und auch in den Tagen nach der Messe konnte man bereits viele Ersteindrücke von anderen Spielefans lesen und hören, die Holding on gespielt hatten. Von „Das ist das großartigste, intensivste und emotionalste Spiel, das ich je gespielt habe!“ bis hin zu „Langweilt mich. Wirklich.“ waren da fast alle Meinungen, die es nur geben kann, vertreten. Kein Wunder also, dass ich besonders gespannt darauf war, es selbst herauszufinden.

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Allgemeines

Vom Prinzip her ist es so: Wir sind Billys Pflegeteam im Krankenhaus, müssen in Notfällen dafür sorgen, dass er versorgt ist und uns nicht unter den Händen wegstirbt, müssen ihn medizinisch behandeln, müssen mit ihm sprechen, damit seine Erinnerungen wiederkommen. Diese werden unterteilt in vage Erinnerungen und in klare Erinnerungen. Vage Erinnerungen werden später zu klaren. Und diese legen wir in einem bestimmten Raster aus. Wir haben zu viel zu tun, sind dafür zu wenig Leute, werden gestresst und deswegen nach Hause geschickt, wo wir uns ausruhen müssen. Das Krankenhaus wirft ein Auge auf uns, ob wir uns auch wirklich gut um Billy kümmern und wenn dem nicht so sein sollte, hagelt es Sanktionen. Die Liste, worauf wir achten müssen, ist noch länger und wie wir alle es aus kooperativen Spielen kennen, kriegt man schnell das Gefühl, man müsse sich klonen, um alle Aufgaben anpacken zu können.

Die Regeln können hier heruntergeladen werden und darin erfahrt ihr auch mehr über den Mechanismus, das Material und andere Besonderheiten. Ich möchte hier auch gar nicht weiter in die Details abtauchen.

Vorfreude

Als ich von Holding on erfahren habe, war mir sofort klar, dass ich es haben muss. Ich finde es toll, dass auch mal ungewöhnliche und ernstere Themen für Brettspiele genutzt werden. Das fand ich auch schon bei This War of Mine großartig. Daher freute ich mich darauf, meinen Krankenschwesterkittel über zu werfen und mich um Billy zu kümmern. Das Artwork hat mich, von dem, was ich bin dahin kannte, sehr neugierig gemacht und an TIME Stories erinnert. Viele Dinge also, die meine Vorfreude anfeuerten.

Die Treffen mit Billy

Wir spielten die erste Partie Holding on zu dritt, gemeinsam mit einer Krankenpflegerin, übrigens. Wir machten uns daran, die einzelnen Schichten zu planen. Wir unterhielten uns mit und über Billy, wir versorgten ihn, wir wandten Notfälle ab. Wir sammelten seine Erinnerungen, legten sie aus, puzzelten sie zurecht. Dann war das Spiel irgendwann vorbei, weil wir 5 klare Erinnerungen auslegen konnten (man muss erst eine vage Erinnerung ausliegen haben, bevor man die dazu passende klare Erinnerung auslegen kann, nachdem man sie gefunden hat).

Tja… und dann … dann saßen wir da und waren enttäuscht von dem, was wir da gerade erlebt hatten. Die Erinnerungen von Billy sind nett bebildert und zu jeder gibt es auch einen kurzen Text, der beschreibt, was da gerade bei ihm in der Situation passiert war. Das war natürlich teilweise auch emotional, auch, wenn man nicht genau wusste, worum es wirklich ging … aber wirklich nicht so, dass die Stimmung aufgrund der Bilder runtergedrückt wurde. Und der Stress, den es ja nunmal wirklich in den Krankenhäusern gibt, wurde auch ganz okay rübergebracht, wenn auch, meiner Meinung nach, hin und wieder unlogisch.

Wir hatten also das erste Szenario hinter uns gebracht und somit das zweite Szenario freigeschaltet. Im Laufe der Szenarien kommen neue Dinge, Aufgaben und Besonderheiten dazu, aber wirklich Lust, auch noch eine zweite Runde anzuhängen, hatten wir nicht. Also wurde Holding on zusammengepackt und im Schrank verstaut. Das war irgendwie bitter, da ich wirklich große Erwartungen hatte, die nicht wirklich erfüllt wurden. Für mich fühlte es sich eher so an, als würden wir ein Puzzle spielen und nebenbei noch Herzmassagen und Spritzen geben. Schade.

Die nächsten Tage im Krankenkhaus

Boah, nach dem ersten Versuch war es wirklich nicht einfach, das Spiel wieder auf den Tisch zu bringen, weil ich selbst eigentlich keine Lust mehr hatte, das noch weiter zu probieren … aber ich WILL es ja mögen … im Gegensatz zu meinen MitspielerInnen aus der ersten Partie, die sich fleißig geweigert haben, nochmal eine Runde zu spielen. Kann ich verstehen. Und leider ist es dann auch weiterhin so gewesen, dass ich überhaupt nicht ins Spiel gekommen bin. Da war einfach nichts, was mich gepackt hat. Und das, obwohl die Story von Billy Kerr ja weitergeführt wird. Sie wird intensiver, sie wird emotional … Eigentlich sollte man meinen, dass man mit ihm zusammen wächst, weil man einen Schritt näher an ihn rankommt. Dem war aber bei mir nicht so. Denn ich muss halt trotzdem immer noch das gleiche machen: Gedanken puzzlen, mal die einen, mal die anderen. Auf die gleiche Art und Weise, die mich auch schon vorher gelangweilt hat. *gähn* Nein, danke. Aber da muss ich jetzt wohl durch.

Es gibt so Dinge, die sind nicht gut angekommen …

Ja, Billy wird auf jeden Fall irgendwann sterben, das wissen wir. Das kann in der ersten Partie sein, wenn wir uns nicht gut genug um ihn kümmern, oder aber auch später. Aber ist es wirklich eine Option, ein Spiel so zu erfinden, dass es uns als Spieler dazu drängt, alles zu geben, um unseren Willen durchzusetzen? Ohne Rücksicht auf (menschliche) Verluste daran zu arbeiten, dass wir diese wirren Erinnerungen zu ganz klaren Bildern machen? Weil Billy sich dann wenigstens von seinen Sorgen und seiner Geschichte freireden kann … und mit ausgesprochenen Sorgen sterben kann? Das kam in meinen Runden nicht gut an. Für mich ist es irgendwie auch unlogisch und ich komme in diese Gedankengänge nicht gut rein. Auch hat dieses Gedanken-puzzlen bis zum letzten Moment für mich nicht mehr gehabt, als Karten auslegen. Da ist nicht viel mit Emotionen, Trauer, Gedanken … oder sonst was. Sondern: Ich puzzle einfach irgendwelche Karten zusammen, die ich sammle und so dafür sorge, dass ich ins nächste Level darf.

Ich habe viel drüber nachgedacht und vielleicht stelle ich mich blöd an, aber folgende Sache, zum Beispiel, ist für mich echt total unlogisch: Krankenschwester A ist überarbeitet. Sie kann nach der Frühschicht nach Hause gehen und sich bis zum nächsten Tag ausruhen, an dem sie wieder völlig stressfrei zur Arbeit kommt (ich sach nur Burnout.), aber nur, wenn sie an dem Tag noch nicht gearbeitet hat. Warum sitzt sie während der Frühschicht im Pausenraum, anstatt zu arbeiten, und wartet auf die Spätschicht?!
Wenn sie schon gearbeitet hat und zu gestresst ist, wird sie nach Hause geschickt, macht einen ganzen Tag und den angefangenen Tag frei und kommt dann am übernächsten Tag quasi völlig regeneriert wieder … nach einem freien Tag. Dieses ganze Gewirr ist mir suspekt. Der Schichtleiter hat eine Menge Verantwortung, darf aber nicht nach Hause gehen. Aber auch so eine Position kann man doch ersetzen, um das Wohl eines lebendigen, arbeitenden Menschen zu gewährleisten, oder? Naja, egal …

Auf der ersten Seite der Regel steht: “ACHTUNG: Die Karten „Vage Erinnerung“ und „Klare Erinnerung“ solltet ihr erst aufdecken, wenn ihr dazu aufgefordert werdet, da das Erforschen und Entdecken dieser Karten die Spielerfahrung von Holding On ausmachen.” Geht so, find ich. Ja, die Bilder transportieren Emotionen und die Geschichte ist, je weiter sie geht, auch nicht ohne. Da schluckt man schon. Aber diese Emotionen habe ich im Spiel nun einfach nicht wiedergefunden.

Ich honoriere sehr, dass man den Mut hatte, so ein sensibles und ernstes Thema zu nehmen, um daraus ein Spiel zu machen. Das Design im Sinne des schlichten, hellen Krankenhaus-Gefühls finde ich auch gut. Aber für mich sind zu viele Unstimmigkeiten im Ablauf im Spiel und spannend war es, wie bereits erwähnt, für mich nicht wirklich.

Schade – tatsächlich muss ich sagen, dass Holding On für mich persönlich die größte Enttäuschung aus dem Herbst-Neuheiten-Lauf 2018 war. Und dabei wollte ich es so gern mögen. Aber das hat einfach nicht funktioniert.

Lecker

  • Mutiges Thema
  • Hochwertiges Spielmaterial

Pfui

  • Mehr Puzzeln als alles andere
  • Muss ich als Pflegekraft meinen Willen echt so durchsetzen wollen?
  • Unlogische Momente kamen mir hier ein bisschen zu oft vor.

Fazit

pieeeeeeeeeeeeep

  "Naja, das war irgendwie nix für mich. Die Lust, Holding on nochmal auf den Tisch zu bringen, geht auch in Richtung 0. Das finde ich, wie schon mehrfach erwähnt, sehr schade. Ich hätte es gern gemocht. Stattdessen ist das hier eher etwas, das ich gern weiter verschenken würde, damit ich mehr Platz im Regal habe ... denn auf den Tisch wird es sicherlich nicht mehr kommen. Danke trotzdem, Asmodee, für das Rezensionsexemplar."
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